Vor langer Zeit, in einem weit, weit entfernten Dorf...
Dichte Nebelschwaden hingen über dem vom Tau feuchten Waldboden. Der hoch stehende Vollmond durchbrach den Nebel an wenigen Stellen. Es herrschte Totenstille auf dem Marktplatz des Dorfes. Aus den notdürftig zusammen gezimmerten Holz-Hütten des einfachen Volkes war kein Laut zu vernehmen, nicht einmal ein Schnarchen. Auf einer kleinen Anhöhe etwas abseits der Wohnsiedlung, auf welcher des Tages über stets ein geschäftiges Treiben herrscht, ragte das Rathaus empor. Ein beeindruckendes Bauwerk: Schwarze Ziegelsteine, höher aufgezogen, als es heute noch irgendjemand im Dorf beherrschen würde, angeordnet in der Form eines Ovals.
Zu beiden Seiten der dunklen Mahagoni-Tür standen Statuen aus verziertem Elfenbein. Im Mondlicht schimmernd, waren ihre Silhouetten selbst bis zum Fuße der Anhöhe noch erkennbar. Die eine stellte einen Bürger dar, einfach gekleidet, die Hände in einer einladenden Geste ausgebreitet. Die andere mimte eine größere Kreatur. Aufgebäumt, bedeckt von einem dichten Pelz, die Krallen besetzten Hände drohend erhoben. Die furchterregende Gestalt eines Werwolfs. Zusammen sollten sie willkommen heißen und warnen zugleich, denn es handelte sich bei diesem Ort um kein gewöhnliches Dorf. Dies war das letzte Dorf im Land, in dem noch Werwölfe lebten.
Überall wurden Werwölfe, aufgrund der Furcht und des Misstrauens, die normale Sterbliche gegen sie hegen schon seit langer Zeit verfolgt und getötet. Nach drei verheerenden Rasse-Kriegen, die sich während der letzten Monate im Land zutrugen, hatte man ihre Gattung beinahe gänzlich ausgelöscht. Trotz ihrer außergewöhnlichen Intelligenz und ihren beeindruckenden anatomischen Veranlagung wurden die letzten Vertreter der Wertier Gattung von den zahlenmäßig überlegenen Menschen stets besiegt. An diesem Ort jedoch hegte man keinen Groll gegen sie. In beidseitigem Einverständnis lebten die Menschen und Werwölfe hier in Harmonie und Frieden. Dies funktionierte schon seit vielen Generationen. So lange, dass mittlerweile kaum noch jemand wusste, wer überhaupt welcher Art angehört. Jedoch sollte sich dies bald ändern. Während alle Dorfbewohner die Werwölfe als die ihren akzeptierten und keinen Groll gegen sie hegten, hatten die vorangegangenen Kriege für die Werwölfe vieles verändert. Sie erfüllten sie mit Wut und dem Wunsch nach Vergeltung. Der stärkste und angesehenste unter ihnen, von den Artgenossen auch scherzhaft 'Großer Böser Wolf' genannt, ergriff eines Nachts die Initiative und berief sie alle zu einem Treffen in seiner Wohnung ein. Sie beschlossen, sich gegen das Dorf zu verbünden und gründeten die weltweit einzig bekannte Werwolf-Mafia. Diese hatte aus heutiger Sicht nicht viel mit einer Mafia zu tun. Diese neue Gruppierung diente nicht dem Gewinn von Macht oder Wohlstand, sondern machte sich schlicht die Ausrottung aller Menschen im Dorf zum Ziel. Jede Nacht sollte daher ein Dorfbewohner auf grausame Art getötet werden. Außerdem sah die Organisation das Tragen von schicken Anzügen und coolen Hüten vor, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. In der nächsten Nacht sollte es dann so weit sein. Der erste Mord sollte geschehen und sie hatten sich ein sehr wirkungsvolles Ziel ausgesucht. Den langjährigen Bürgermeister des Dorfes: @FloriToDah. Mit seiner außerordentlichen Beliebtheit, seiner unermesslichen Güte und seinem einzigartigen Verhandlungsgeschick, war er der Stützpfeiler des Dorfes, der sie schon durch viele schwierige Zeiten geführt hatte. Alle bewunderten ihn, alle mochten ihn, alle Frauen wollten bei ihm sein und alle Männer wollten so sein wie er. Sein Tod wäre somit ein schwerer Verlust für die ganze Gemeinschaft und würde ein Chaos auslösen, dass sich die Lykaner zu Nutzen machen würden.
Plötzlich durchbrach ein laut die Stille. Nicht ohrenbetäubend, nicht markerschütternd, jedoch aus geringer Entfernung deutlich vernehmbar. Ein dumpfes Geräusch. Ein Stapfen. Krallenbesetzte Füße, die sich in den gefrorenen Boden bohrten. Sie trugen die riesige Gestalt des 'Großen Bösen Wolfs'. Gekleidet in einen maßgeschneiderten, dunkelgrauen Anzug und mit einem modischen Hut, der seine langen, spitzen Ohren nicht ganz zu verdecken vermochte, schritt er die Anhöhe zum Rathaus empor. Niemand ahnte etwas von seinem Vorhaben und selbst wenn, es hätte ihn wohl niemand aufhalten können.
Der Bürgermeister schlief alleine in seinem Bett im Rathaus. Niemand war bei ihm und so konnte niemand das Folgende bezeugen, geschweige denn verhindern.
Der Wolf schritt die letzten Meter bis zur Tür und riss diese mit einem gewaltigen Ruck aus den Angeln. Holz splitterte, die metallenen Scharniere verbogen sich, Steine brachen aus dem Loch, in dem sich vor kurzem noch eine Tür befand. Flo schreckte aus seinem Schlaf und sah in seinen letzten Atemzügen seinem Ende entgegen. Bevor er auch nur einen weiteren Muskel rühren konnte, war der Lykaner mit einem mächtigen Satz in's Haus gesprungen und stand direkt vor ihm. Eine haarige Bestie, im dunklen Haus kaum mehr als ein schwarzer Schatten mit gelb funkelnden Augen. Ein schneller Hieb, ein Luftzug, ein entsetzter Schrei und das Geräusch splitternder Knochen. Ein Blutschwalll, bedeckte die anliegende Wand. Der leblose Körper des Dorfoberhauptes sackte in sich zusammen und kippte rücklings vom Bett. Dann wieder Stille.
So schnell der Wolf aufgetaucht war, so schnell war er auch wieder weg.
Wenige Stunden später, wachten die ersten Dorfbewohner auf. Es dauerte nicht lange, bis jemand die zerstörte Tür entdeckte und die Anhöhe erklomm, um sich ein Bild von der Szenerie zu machen. @FloriToDah lag neben seinem Bett. Sein Brustkorb war aufgebrochen. Die Innereien zerfetzt. Eine Blutlache hatte sich unter ihm ausgebreitet. In seinen Augen stand das blanke Entsetzen.
Schnell versammelten sich alle auf dem Dorfplatz, auf dem die schreckliche Nachricht verkündet wurde. Schnell kamen sie zu dem Schluss, dass nur ein Werwolf dafür verantwortlich sein konnte. Von da an wusste niemand mehr, wem er vertrauen konnte, aber sie wussten alle, was zu tun war. Ihr Bürgermeister hatte ihnen schon öfter zu einem bestimmten Vorgehen geraten, falls diese Situation jemals eintreffen sollte. Schon bei seiner Antrittsrede verkündete er: "Falls sich die Werwölfe jemals gegen das Dorf wenden sollten, müsst ihr einfach jeden Tag jemanden lynchen, in der Hoffnung damit die Werwölfe auszurotten. Am besten fangt ihr einfach damit an, euch völlig grundlos zu beschuldigen und seht, wo das hinführt. Vertraut mir, es gibt keine bessere Möglichkeit... und falls ich jemals sterben sollte, dann wählt halt nen neuen Bürgermeister oder so, aber vorher beschuldigt euch auf jeden Fall schon mal grundlos!"
Da seine Untergebenen ihm alle blind vertraut hatten, beschlossen sie es genau so zu tun.
Damit brach eine Zeit der Zwietracht und des Mordes an.