Nach den Skandalen um Harvey Weinstein und der darauf folgenden #MeToo-Welle in den sozialen Netzwerken und nachdem jetzt einer meiner liebsten Schauspieler, Kevin Spacey, in einen Skandal um sexuelle Belästigung verwickelt ist, treibt mich eine Sache in der letzten Zeit wirklich um: Die Unschuldsvermutung.
Bei dem Thema setzt man sich unglaublich schnell in die Nesseln, deswegen brauche ich einige Disclaimer.
1. Missbrauchsopfer sollen immer im Mittelpunkt der Debatte stehen.
2. Anschuldigungen sollte man sich immer anhören und niemals auf die leichte Schulter nehmen.
3. Pauschal zu sagen, dass Frauen solche Anschuldigungen machen, um im Rampenlicht zu stehen oder abzukassieren, ist sexistische Kackscheiße.
4..Opfer sind niemals selber schuld daran, wenn sie Opfer werden (z.B. durch sexy Kleidung). Victim Blaming ist inakzeptabel.
5. Mir geht es nicht um aktuelle Fälle, ich verteidige weder Weinstein noch Spacey oder sonst wen.
Allerdings finde ich es erschreckend, wie schnell aus einer Anschuldigung in der Gesellschaft eine Verurteilung wird. Dabei scheint der juristische Part für viele Menschen absolut keine Rolle zu spielen. Die Unschuldsvermutung scheint es nur noch im Gerichtsgebäude zu geben.
Im Fall um Jörg Kachelmann beispielsweise, haben mich Aussagen von ARD-Offiziellen damals regelrecht erschüttert. Die sind in einer Live-Sendung gefallen und das Zitat kann ich nicht mehr genau zuordnen oder belegen, aber sinngemäß ist dort gefallen: Ob Kachelmann im juristischen Sinne schuldig sei, spielt keine Rolle, entscheidend sei, welche Gedanken die Menschen haben, wenn er in den Tagesthemen weiter das Wetter vortragen würde.
Juristisch ist Jörg Kachelmann vollständig rehabilitiert, aber seine Karriere im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist irreparabel zerstört. Allein mit der Begründung, dass viele Menschen sich selbst ihr Urteil gebildet haben.
Das lässt sich auf viele Fälle anwenden.
Das bedeutet im Umkehrschluss: Eine Anschuldigung reicht, um eine Karriere zu beenden. Wer behauptet, dass das von manchen Menschen nicht auch taktisch gegen unliebsame Personen eingesetzt wurde und wird, lebt meiner Meinung nach in einer Traumwelt. Und genau deswegen muss die juristische Abhandlung solcher Fälle wieder in den Mittelpunkt der Debatte um solche Fälle rücken und aus der juristischen Unschuldsvermutung muss auch eine gesellschaftliche werden.
Man versetze sich nur mal in die Lage der Person, der so ein Vorwurf gemacht wird und die unschuldig ist. Du schaffst es vielleicht juristisch sauber da raus zu kommen, aber deine Karriere und dein öffentliches Ansehen ist zerstört, auf Basis einer reinen Behauptung,
Wenn öffentliche Personen aus ihren Positionen (z.B. als Schauspieler einer Serie) oder Ämtern (z.B. Politikern) aufgrund eines Vorwurfs, bei dem noch nicht einmal juristische Ermittlungen anberaumt sind, raus geworfen werden, verfolgt mich grundsätzlich ein unbehagliches Gefühl.
Ich spreche hier weder gegen Opfer noch für die Täter, sondern setze mich für Gerechtigkeit ein. Ob jemand schuldig ist oder nicht, entscheidet sich im Gericht und nicht beim Stammtisch oder bei Twitter.