Einführung
Hallo zu meinem nächsten Test. Heute geht es um The Walking Dead: Season 2.
Das Werk wurde von Telltale Games entwickelt und ab Ende 2013 (in 5 Episoden) für PC, Konsolen und Mobile-Geräte veröffentlicht.
Achtung: Im Verlauf des Tests gibt es einen massiven Spoiler zur ersten Staffel.
Nun. Für jemanden wie mich, der gerne ausführliche und strukturierte Tests schreibt, wie man an meinen beiden bisherigen Tests zu Brothers: A Tale of Two Sons und Batman: Arkham City sehen kann, ist dieses Werk nicht ganz einfach zu beschreiben.
Die erste Staffel von The Walking Dead hat mich einfach weggeblasen. Was Charakterzeichnung, Erzählstil und die Qualität der Dialoge angeht, gab es für mich bis dahin nichts vergleichbares im Bereich der interaktiven Medien. Deswegen fand ich es auch unglaublich schade, dass die zweite Staffel durchweg schlechtere Kritiken erhielt, als die erste Staffel. Es war also Skepsis vorhanden, als ich die zweite Staffel letzte Woche endlich nachholen konnte. Skepsis, die nicht berechtigt war.
Genre?
Das Spezielle geht bereits bei der Einordnung in ein Genre los. Adventure-Fans der alten Schule, die beispielsweise mit Lucas Arts groß geworden sind, springen einen jedenfalls an die Kehle, wenn man die neueren Werke von Telltale als Adventure bezeichnet. Ist es denn überhaupt ein Videospiel? Schwierig, denn Gameplay ist wirklich nur marginal vorhanden und es wirkt oft alibihaft. Ist es ein interaktiver Film bzw. eine interaktive (Mini-)Serie? Auch schwierig, denn wir können die Figur steuern und in interaktiven Filmen bzw. (Mini-)Serien kann man dies eigentlich nicht. Aber ist die Einordnung in ein Genre wirklich maßgebend für eine Bewertung? Meiner Meinung nach nicht. Lasst mich euch also ein Angebot machen: Pfeifen wir einfach auf eine bestimmte Genre-Bezeichnung und elitäres Gamergehabe und nennen The Walking Dead: Season 2 eine Erfahrung. Meiner Meinung nach eine Erfahrung, die man gemacht haben muss. Und wenn mir etwas gefällt, dann ist es unerheblich, in welches Genre man es einordnet.
Story
Was schreib ich jetzt nun über die Story? Bevor ich diesen Test geschrieben habe, war das mein größtes Problem. Was soll ich nur über die Story schreiben, ohne etwas erheblich zu spoilern? Das ist unmöglich, denn bereits in den ersten Spielminuten erschüttern uns erste Schicksalsschläge. Deswegen gibt es nur die Prämisse und um die Prämisse zu erläutern, muss ich die erste Staffel massiv Spoilern, was ich jetzt tue: Nachdem die kleine Clementine ihren Beschützer Lee am Ende der ersten Staffel richten musste, weil er sich in einen Zombie zu verwandeln drohte, spielen wir nun das kleine Mädchen selber und müssen in der Zombie-Apokalypse um unser Leben kämpfen. So ziehen wir von einem vermeintlich sicheren Ort zum nächsten. Dabei treffen wir immer wieder auf neue Überlebende.
Das mag simpel klingen, aber hier ist mehr das Wie entscheidend. Denn wie The Walking Dead: Season 2, genauso wie Season 1 , seine Geschichte erzählt, ist vollkommen einzigartig im Bereich der interaktiven Medien.
Wie sehr oft wenn Zombies am Werk sind, werden sie nur als narrativer Hintergrund in einer Studie über menschliches Verhalten in Extremsituationen verwendet. Im Vordergrund steht also Zwischenmenschliches und Gruppenverhalten. Es ist ein anthropologisches Psychogramm, welches in die dunklen aber auch hellen Seiten der menschlichen Psyche blickt.
(In dieser Disziplin finde ich die Telltale-Serie von The Walking Dead übrigens wesentlich besser als die TV-Serie, die Comics habe ich leider nie gelesen)
Die einzelnen Episoden haben eine Laufzeit von ca. 90 -110 Minuten und sind somit im Durchschnitt kürzer als die Episoden der ersten Staffel. Das liegt daran, dass die Häufigkeit der Dialoge etwas reduziert wurde und etwas straffer inszeniert wird.
Was macht The Walking Dead von Telltale so besonders?
Was The Walking Dead: Season 2, genauso wie die erste Staffel, zu etwas ganz besonderen macht, ist die vollkommene Unsicherheit über den Verbleib eines jeden Charakters. Keiner ist sicher, jeder kann jeden Augenblick seinen letzten Atemzug machen. Das entwicklelt eine zum zerreißen gespannte Atmosphäre, die man sonst nur aus der Fernsehserie Game of Thrones kennt.
Es gibt kein Gut und kein Böse, kein moralisches Schwarz und kein moralisches Weiß. Das macht die ein oder andere Entscheidung, die wir treffen müssen, zu einem richtigen Dilemma. Die Charaktere sind realistisch gezeichnet, handeln nachvollziehbar und sind fernab von jedem Klischee gestaltet. Die Dialoge suchen ihres Gleichen und sind grandios eingesprochen. Es gibt teilweise Dialoge, die so nuanciert sind, dass jedes Wort ein unglaubliches Gewicht zu haben scheint und ein falsches Wort zu einer folgenschweren Eskalation führen könnte. Alle Charaktere sind einzigartig und haben eigene, nachvollziehbare Ansichten und Motive.
Die Charaktere wirken echt, deswegen geht uns alles was ihnen passiert unglaublich nahe und desto mehr erschüttern uns die Wendungen. Manche Schicksale treffen uns bis ins Mark und lassen uns verstört vor dem Bildschirm sitzen.
Die Grundstimmung ist stets pessimistisch, depressiv und düster. Wenn man also schon schlechte Laune hat, sollte man von The Walking Dead: Season 2 Abstand nehmen.
Hauptakteurin, Gameplay und die Auswirkung von Entscheidungen: Kritik, die ich nicht nachvollziehen kann.
Viele Kritiker sehen ein Problem darin, dass die kleine Clementine immer im Mittelpunkt steht und viele, teils gefährliche Aufgaben auf sie abgewälzt werden, nur weil sie der spielbare Charakter ist. Das war bei vielen Kritikern der Hauptpunkt und so wurde die zweite Staffel niedriger bewertet als die erste Staffel. Ich kann natürlich nachvollziehen, dass die "Suspension of Disbelief" bei einem Spiel, das sich Realismus auf die Fahnen schreibt, etwas anders strapaziert wird; allerdings finde ich, dass man die "Suspension of Disbelief" gar nicht bemühen muss. Es ist keine Küchenpsychologie, dass Kinder in Extremsituation weitaus schneller erwachsen werden, als in einer behüteten Umgebung. Das kennen wir von Berichten und Reportagen aus Kriegsgebieten und Drittländern. Der Überlebenswille kann auch Kinder zu Leistungen treiben, die wir ihnen niemals zutrauen würden. Für mich ist das also kein Kritikpunkt.
Auch kein Verständnis habe ich für die Kritik am extrem reduzierten Gameplay, bei dem wir lediglich Dialogoptionen wählen und Quick-Time-Events bewältigen. Das weiß man bei Werken von Telltale schon von vorneherein und man lässt sich eben darauf ein, wenn man es mag oder man lässt die Finger davon, wenn man es nicht mag. Das ist Geschmackssache. Außerdem sind die Dialoge, wie bereits oben beschrieben, ein Herzstück der Erzählung und an diesen durch die Dialogoptionen mitzuwirken, ist für mich doch eine Art von gutem, interessanten und befriedigenden Gameplay.
Dass sich verschiedene Dialogoptionen wenig bis gar nicht auf den Verlauf der Geschichte auswirken, war ein weiterer Kritikpunkt. Ich mag es jedoch, wenn mir ein Künstler seine Geschichte einfach erzählen will, ohne das ich meine eigene Geschichte erzähle. "Warum dann die Dialogoptionen?" wird man sich jetzt fragen. Nun, ich interpretiere einfach mal hinein, dass es sich hier um eine Interpretation von Schicksal handelt, also dass der Weg von Clementine zu einem gewissen Grad vorbestimmt ist. Ich glaube persönlich nicht an Dinge wie Schicksal, aber finde es einen interessanten Ansatz für eine Erzählung.
Technik: Kritik, die ich nachvollziehen kann.
Nachvollziehen kann ich allerdings die Kritik an der Technik. Selbst ich als jemand, der bei Spielen wenig bis gar nicht auf "das Äußere" achtet, kann bei einem Spiel, das auch für iOS und andere Mobile-Geräte erscheint, kein Auge mehr zudrücken, wenn es auf dem PC Probleme mit der Performance gibt. So gibt es sehr oft Ruckler, in denen das Spiel irgendetwas lädt. Das nervt mit der Zeit, besonders bei QT-Events, wenn es schnell gehen soll.
Die Grafik ist, wie bei Cel-Shading immer, Geschmackssache. Mir gefällt´s.
Die Musik ist stimmungsvoll und die Sprecher sind grandios.
Fazit:
The Walking Dead: Season 2 ist keine Erfahrung für alle. Es ist eine Erfahrung, auf die man sich einlassen muss. Tut man dies jedoch, wird man belohnt mit einer packenden Geschichte, deren Charaktere echt wirken, es kein Gut und Böse gibt und Dialoge, die alles in den Schatten stellen, was es in den interaktiven Medien sonst noch so gibt. Ich konnte kaum einen qualitativen Abfall zur ersten Staffel erkennen. Aus irgendeinen Grund mag man die Charaktere, mit denen alles begonnen hat, mehr als die nachfolgenden; das ist auch hier so. Allerdings kann ich hier keinen objektiven Grund finden. Es gibt sogar Charaktere in der zweiten Season, die wesentlich vielschichter sind als die in der ersten Season. Wahrschenlich ist das eine Gewohnheitsache. Ich habe jedenfalls zu keinem Zeitpunkt weniger mitgefiebert als in der ersten Staffel.
Wenn man also etwas mit den Werken von Telltale anfangen kann, sollte man auf jeden Fall zuschlagen.
Mit freundlichen Grüßen Andreas