Ich bin mir zugegebenermaßen nicht sicher, ob ich mich über die Ereignisse der letzten Nacht freuen, aufregen oder drüber heulen sollte. Fakt ist, dass die letzten 24 Stunden verdammt anstrengend waren.
Am Montag Abend hat einer meiner älteren Twitter-Follower sein Profilbild geschwärzt, seine Beschreibung durch "ERROR" ausgetauscht und mehrere Tweets gepostet, in denen er teils deutlich andeutet, dass er sich in den kommenden Minuten bzw. Stunden selbst verletzen möchte. Diese Aktionen waren der Höhepunkt eines seit Wochen schwankenden Verlaufs von Phasen tiefer Depression und Glücksgefühle.
Ich muss zugeben, dass ich diese Person nicht gut kenne. Er stammt aus meiner ehemaligen Guild Wars 2 GIlde, aus der ich bereits vor über einem Jahr ausgetreten bin. Manche Stricke reißen aber nun mal einfach nicht
Ich bin ein hellhöriger Mensch. In der Vergangenheit habe ich bereits Bekanntschaft mit Leuten gemacht, die psychisch labil sind und zu extremen Stimmungsschwankungen tendieren. Jedoch ist mir ein so konkreter Fall noch nicht untergekommen. Zwar weiß ich, dass vielen Suizidandrohungen keine Taten folgen, dennoch werde ich nervös bei dem Gedanken im Ernstfall nichts unternommen zu haben.
Die Folge war, dass ich mir alle möglichen Wege überlegt habe auf diese Situation zu reagieren. Wie weit geht man? Man kennt die Person ja eigentlich gar nicht richtig, darf ich mich da einmischen? Meine gestrige Erfahrung hat gezeigt: Egal, mach es trotzdem.
Der Betroffene reagierte nicht auf Nachrichten - wie zu erwarten und zu befürchten. Ich habe mich nach Wochen wieder in Guild Wars 2 angemeldet, habe wieder Kontakt zu meiner alten Gilde aufgenommen, habe die Personen gesucht, die ihn am besten kannten (seine Ex-Freundin, die beiden sind seit einigen Monaten getrennt) und habe in Zusammenarbeit mit ein paar anderen Helfern alle Informationen besorgt um fachgerechte Hilfe zu mobilisieren. Da wir die genaue Adresse nicht kannten, aber wussten, dass er in einem Hostel in einer bestimmten Stadt war, haben wir auf Basis von Bildern, die er gepostet hat das richtige Hostel gefunden und die Polizei verständigt. (Im Rückblick beängstigend, wie weit selbst Privatpersonen mit so wenig Informationen kommen können - wenn auch wie in diesem Fall gut.)
Das Gute: Wir waren nicht die ersten. Die Polizei teilte uns mit, dass bereits ein Einsatz von einer anderen Person eingeleitet wurde.
Im weiteren Gespräch mit der Ex-Freundin stellte sich raus, dass der Betroffene bereits in der Vergangenheit einen Suizidversuch begangen hat - einen realen, mit echten Pillen. Letztendlich ein abschließender Beleg dafür, dass auf Suizidankündigunen ernsthaft eingangen werden sollte.
Das glückliche Ende der akuten Geschichte ist, dass er zwar nicht im Hostel angetroffen wurde, aber scheinbar von der Polizei aufgegriffen wurde.
Das traurige an der Geschichte ist jedoch, dass zwar - auch wenn vielleicht keine reale Absicht vorhanden - der konkrete Suizidversuch verhindert werden konnte, die eigentliche Ursache - die Depressionen - nicht behandelt werden können. Es ist ein Teufelskreis, der dafür sorgt, dass sich eine Person immer weiter isoliert, sich selbst abwertet und immer tiefer in der Depression versinkt. Man selbst steht als Außenstehender daneben und sieht, wie die Person in einen Sog gezogen wird, aus der er aus eigener Kraft nicht raus kommt, aber auch von außen nicht gezwungen werden kann heraus zu kommen.
Eine stationäre Therapie lehnt er ab. Die ambulante Therapie bringt nichts. Er wohnt in einem Hostel in Abgeschiedenheit und ohne Familie.
Ich selbst habe zwar die halbe Nacht damit verbracht auf Antwort von der Polizei zu warten - letztendlich mit der Polizei gesprochen hat nur seine Ex-Freundin - aber muss natürlich (genauso wie die Ex-Freundin) einen natürlichen Selbstschutz aufrecht erhalten.
Es ist sehr frustierend, wenn man weiß, dass diese Fälle keine Einzelfälle sind. Ich bewundere Streetworker, die solchen Menschen von Angesicht zu Angesicht helfen, aber nicht zu allen durchdringen und bei manchen einfach nur zu schauen können, wie sie weiter verelenden.
DAS macht mich depressiv.