Nach 35 Stunden Spielzeit und Abschluss der wichtigsten Endings sind Nier: Automata und ich doch noch Freunde geworden.
Dennoch würde ich dieses Spiel nach wie vor nicht als Meisterwerk bezeichnen und finde die Superlativen, die Nier: Autoamata hier und da entgegengebracht werden, etwas zu euphemistisch und verschleiernd, was die Mängel angeht.
Im Folgenden versuche ich möglichst spoilerfrei meine Eindrücke zu schildern, nehme aber schon mal vorweg, dass mein negativer Eindruck aus dem ersten Durchlauf durch all das, was später noch kommt, sich weitgehend erübrigt hat und großer Neugierde und sporadischer Faszination gewichen ist. Die Kritik soll aber dennoch nicht zu kurz kommen.
Die Geschichte von Nier: Automata hat mir tatsächlich am meisten Spaß gemacht. Zunächst habe ich befürchtet, dass man hier die zehntausendste "Maschinen entwickeln Gefühle"-Story bekommt, aber zum Glück wurde dies deutlich komplexer, erfrischender und makaberer präsentiert als gewohnt. All die Wendungen, Überraschungen und verwobenen Details haben mir enorm gut gefallen und der Bogen zum ersten Nier hat immer wieder für kleine Gänsehaut-Momente gesorgt.
Klasse ist dabei, dass man nicht nur die Entwicklung von den Protagonisten mitbekommt, sondern auch von Nebenfiguren wie Pascal und den Pods. Damit zieht sich die existenzielle Grundthematik durch alle möglichen Figuren des Spiels, was dem Ganzen noch mehr Tiefe verleiht. Alles in allem also eine wirklich krasse, epische, etwas depressive und sehr interessante Story! Mit diesem Teil des Spiels bin ich also komplett zufrieden!
Den Charakteren stehe ich jedoch ein wenig zwiegespalten gegenüber. Ich mag Pascal, A2, die Pods etc., aber 2B und 9S sind mir persönlich nie wirklich nahe gekommen. Vielleicht liegt es daran, dass es Androiden sind und ich hierbei eine etwas andere emotionale Grundhaltung entwickle - ich weiß es nicht - , aber irgendwie war ich nur in den wenigsten Momenten emotional investiert, was konkret das Schicksal dieser beiden Charaktere angeht. Da haben mir Soundtrack, die postapokalyptische Spielwelt und das Gefühl der Zurückgelassenheit mehr gegeben, wenn ich ehrlich bin. Das heißt jetzt nicht, dass ich an 2B und 9S nicht interessiert war, aber es fühlte sich immer wie eine unsichtbare Barriere zwischen diesen Charakteren und mir an, die es beim ersten Nier nicht gab.
Apropos Spielwelt. Für meinen Geschmack hätte sie ruhig mehr Details haben und gerne auch doppelt so groß sein können. Wenn ich an die epische Thematik und Ausgangslage der Geschichte denke, ist es echt schade, dass man in der Erkundungsfreiheit so limitiert ist. Ich weiß, dass manche Spieler diese Reduziertheit super finden und es als Abwechslung gegenüber den zeitfressenden Open-World-Spielen sehen, die jeden zweiten Monat erscheinen, aber bei Nier: Automata habe ich mir in der Tat mehr Raum für Erkundung gewünscht. Insgesamt ist die Spielwelt in ihrer Größe und Gestaltung "ganz nett", wirkt an vielen Stellen aber zu zweckdienlich.
Das Kampfsystem hat bei mir richtig Anlauf gebraucht, sodass ich nach dem ersten Spieldurchgang noch nicht so recht wusste, ob ich damit zufrieden bin oder es lediglich akzeptiert habe. Nach 35 Stunden und vielen Item-Erweiterungen bin ich nun doch überzeugt. Es ist nicht das komplexeste Kampfsystem, macht aber trotzdem Spaß und raubt mir auch nach all der Zeit, die ich mit Nier: Automata verbracht habe, nicht die Lust am Roboter-Verdreschen. Lediglich die Steuerung hätte einen Tick runder ausfallen dürfen.
Beim Thema Soundtrack bleibe ich bei meinem Ersteindruck: faszinierend und wunderschön! Ein wirklich toller Soundtrack, dem ich stets gerne gelauscht habe und der für mich das Spiel in monotonen und repetitiven Passagen massiv aufgewertet hat. Zusammen mit FF XV mein Lieblingssoundtrack der letzten Monate.
Achtung, (kleiner) Spoiler für das, was nach den Credits kommt:
Ein weiteres Lob geht an den "dritten Spieldurchgang". Ich fand diesen Spielabschnitt wesentlich interessanter und mitreißender inszeniert als die ersten 15 Stunden, sodass ich nicht verstehen kann, warum die Entwickler den repetitiven zweiten Durchlauf dazwischen geschoben haben. Klar, man bekommt dabei eine neue Spielmechanik beigebracht und erlangt eine zusätzliche Perspektive auf die Geschehnisse, doch hätte man das in einem deutlich kompakteren Rahmen anbieten können. Das Mehr an Zwischensequenzen und das neue Gameplay-Element haben für mich ein erneutes Durchspielen von A bis Z nicht rechtfertigen können und fühlten sich beinahe nach Streckung der Spielzeit an.
Die Worte des Lobes möchte ich vorerst damit abschließen, dass Nier: Automata eine sehr interessante Geschichte, einen fantastischen Soundtrack und ein spaßiges, wenn auch etwas gewöhnungsbedürftiges, Kampfsystem zu bieten hat.
Nun wieder zu der Kritik, die mich leider davon abbringt, dieses Spiel als "Meisterwerk" zu bezeichnen. Fangen wir also einfach mal bei dem an, was ich bereits in meinem Ersteindruck kritisiert habe - die Grafik. Diese ist nämlich bis zum bittersten Ende höchst launisch. Manchmal denke ich mir "Wow, bitte mehr davon!" und zehn Minuten später schießt mir "Ach, du meine Fresse, ist das hässlich..." durch den Kopf. Nier: Automata kann richtig hässlich sein - ich kann es nur nochmal betonen. Klar, Performance steht hier im Vordergrund, doch beharre ich darauf, dass man gewisse grafische Unschönheiten wesentlich besser hätte kaschieren können. Fenster und Torbögen mit unsichtbaren Wänden, die nur zum Durchlaufen animieren. Unfassbar matschige Texturen direkt neben Speicher-Stationen. Die grauen und kargen Kasten-Räume. Modelle, die so aussehen, als hätte man sie mit schnellem Copy&Paste platziert. Und und und. Wenn ich böse wäre, könnte ich sogar behaupten, dass die stellenweise miese grafische Präsentation die größte Parallele von Nier: Automata zum ersten Nier darstellt. Nochmal: das Spiel kann schön sein, wenn es denn will. Aber scheinbar hat es oft wohl so gar keine Lust dazu...
Kritikpunkt Nummer zwei geht an die Nebenquests, denn diese sind erzählerisch toll, bieten aus spielerischer Sicht aber die Standard-Kost schlechthin. Fetch Quests gibt es hier en masse und ich hatte in meiner Spielzeit nur selten Momente, in denen ich die Nebenquests richtig gerne erledigt habe. Dazu trägt direkt bei, dass die Nebenquests ohne Vorwarnung durch Fortschritt in der Geschichte komplett verschwinden können. Auf erzählerischer Ebene gebe ich Turbolu natürlich recht, aber spielerisch zerstört es für mich jegliche Kontinuität und Motivation. Hierbei hat Nier: Automata also extrem viel Potenzial verschenkt. Zumindest gestaltet sich die Erledigung der Nebenquests bequemer als noch im alten Nier.
Ebenfalls nicht unerwähnt sollte die Sexualisierung der beiden weiblichen Androids 2B und A2 bleiben. Hier muss ich Robin auf ganzer Linie zustimmen und finde ebenfalls, dass Yoko Taro und sein Team über's Ziel hinausgeschossen sind. 2B in dem sehr knappen und reizvollen Outfit hat mich während der gesamten Spielzeit an Aya Brea aus The 3rd Birthday erinnert. Kleidung, die weggesprengt wird und die Protagonistin nur noch in angerissener Unterwäsche zeigt - in The 3rd Birthday fand ich es nur noch geschmacklos, in Nier: Automata schlittert das Ganze hart an dieser Grenze vorbei. Womöglich sorgt es dafür, dass dieses Spiel dadurch mehr Aufmerksamkeit bekommt (ganz nach dem Motto: sex sells), doch ist es leider die billigste Methode. Wenn ich Foren-Threads und 9GAG-Posts sehe, die 2B und A2 in erotischen Fanfiction-Zeichnungen zeigen, dann ist das leider kein besonders wertvolles Kompliment für das Story-Konzept und die Dramaturgie des Spiels. Ich meine, man kann das natürlich ignorieren, aber vor allem aus Japan hätte ich mir solch eine visuelle Präsentation nicht gewünscht. Dort kommt die Instrumentalisierung und Sexualisierung der Frau ohnehin in verschiedenen Formen zum Einsatz. Na ja.
Zuletzt möchte ich das etwas holprige Pacing nennen:
Wie bereits erwähnt, hat der zweite Spieldurchgang für mich die Story-Erfahrung ordentlich ausgebremst, sodass ich vom ersten Durchlauf nicht sonderlich überzeugt war und auch keine Lust hatte, das Ganze nochmal von vorne bis hinten zu sehen. Ich wollte Antworten auf diverse Fragen, musste mich aber erst wieder durch die selben Bosse und Roboter durchschnetzeln.
Aber auch der weitere Story-Verlauf hat seine Höhen und Tiefen. Manchmal ist das Spiel super abwechslungsreich, haut einem mitreißende Zwischensequenzen um die Ohren und bannt einen an die Konsole. Und dann gibt es Passagen, wo man monoton eine Gegnerwelle nach der anderen besiegen muss, ohne dass es große spielerische Abwechslung gibt. Das kann sich durchaus ziehen, sodass ich froh bin, dass ich dabei wenigstens von einem treibenden Soundtrack bei Laune gehalten wurde.
Ich komme aber am besten einfach mal zum Punkt. Nier: Automata hat es mir anfangs echt nicht leicht gemacht, aber nach 35 Stunden Spielzeit bin ich doch glücklich damit. Die Story reißt einfach eine Menge raus und wenn man sich länger mit dem Kampfsystem beschäftigt, macht auch das irgendwann eine Menge Spaß. Im direkten Vergleich zum PS3/360-Nier muss ich aber sagen, dass mich Nier: Automata emotional nicht so stark mitgenommen hat. Vor allem die Charaktere aus Nier konnten bei mir einen größeren Eindruck hinterlassen, sodass Automata für mich in erster Linie vom Story-Konzept und der Atmosphäre lebt. In der Hinsicht ist es aber in der Tat großartig. Ich kann also beide Spiele empfehlen, kann mich dem überbordenden Lob für Automata a la "Es ist einfach das beste Spiel!!!!1111" aber nicht so recht anschließen. Dafür gibt es einfach zu viele kleine Kritikpunkte, die sich irgendwann anhäufen und meine Euphorie ins Wanken bringen. Und trotzdem ist das ein krasses, mutiges, einzigartiges und faszinierendes Spiel. Man merkt also: es ist ein typisches Yoko Taro-Spiel mit all den Vor- und Nachteilen, die damit einhergehen.